Denken wir neu: Versandapotheken machen keinen Notdienst

Bild 1: Ulrike Sommer, Inhaberin der Adler-Apotheke in Zorneding, im Gespräch mit Albert Duin, Vorsitzender der FDP-Bayern. Mit einer dezenten Plakataktion weist die Adler-Apotheke auf die Nachteile der Versandhandelsapotheken hin.
(Foto: Peter Pernsteiner)

Besuch der Adler-Apotheke in Zorneding

– Die FDP fordert im Wahlprogramm einerseits den Fortbestand der Versandapotheken, will aber andererseits auch die qualifizierte Beratung durch inhabergeführte Apotheken stärken. Zudem fordert sie im Wahlprogramm, dass Notdienste angemessen honoriert werden müssen und die Bürokratie im Arzneimittelwesen dringend abgebaut werden muss. Sind all diese Überlegungen richtig oder muss man auch hier neu denken? Albert Duin, Landesvorsitzender der FDP Bayern, und ich als Bundestags-Direktkandidat für den Wahlkreis Ebersberg-Erding haben uns im Rahmen einer Landkreis-Wahlkampftour in der Zornedinger Adler-Apotheke informiert.

Die Adler-Apotheke ist seit 1968 in Zorneding und befindet sich seit 1988 im Einkaufszentrum Birkenhof (Birkenstraße 13 A). Anfang 2017 fand der Generationswechsel statt und die Apotheke wurde von Ulrike Sommer, der Tochter des bisherigen Inhabers Heinz Hauck übernommen. Ulrike Sommer sieht mit immer größer werdender Sorge ein Problem: „Die Versandapotheke pickt sich die Rosinen heraus und macht weder Nachtdienste noch Laborleistungen. Wir sind gesetzlich dazu verpflichtet, dass wir im Wechsel mit den anderen Apotheken in unserem Einzugsbereich alle 12 Tage einen 24-Stunden-Dienst von 8 Uhr in der Früh bis zum nächsten Morgen um 8 Uhr leisten müssen – auch wenn dieser Turnustag auf einen Samstag, Sonntag oder Feiertag fällt!“

Bild 2: Albert Duin, Vorsitzender der FDP-Bayern, diskutiert mit Ulrike Sommer von der Adler-Apotheke in Zorneding.
(Foto: Peter Pernsteiner)

Notdienst ist unlukrativ

Dieser Notdienst ist aber laut Ulrike Sommer „leider für normale Apotheken in unserer Größe alles andere als lukrativ!“ Es gibt zwar einen pauschalen Zuschuss in Höhe von ca. 280 Euro für die 24 Stunden, der aus einem Notdienst-Fonds des Deutschen Apothekerverband e.V. beglichen wird, dieser Zuschuss wird aber komplett von den Apotheken selbst finanziert. Hierzu müssen alle Apotheken von allen abgegebenen verschreibungspflichtigen Medikamenten 16 Cent des sogenannten Festzuschlags an den Fonds abführen. „Unter Strich bleibt damit für uns fast nichts übrig, obwohl wir in unserer Notdienstgruppe mehr als doppelt so oft Dienste haben, als beispielsweise die Apotheken in Baldham und Vaterstetten“, schimpft Ulrike Sommer. Was bleibt, ist ein lächerlicher Notdienst-Zuschlag in Höhe von 2,50 Euro pro Kunde (nicht pro Medikament), der selbstverständlich als Einnahme versteuert werden muss. Dieser Zuschlag ist zudem nur außerhalb der regulären Ladenöffnungszeiten fällig, also lediglich an Sonn- und Feiertagen sowie an Arbeitstagen von Montag bis Samstag zwischen 20 Uhr und 6 Uhr.

Besonders ärgert sich Ulrike Sommer darüber, dass sich „manche Kunden sogar noch über die 2,50 Euro beschweren – ein Trauerspiel, wenn man bedenkt, was man für einen Sanitär- oder Schlüsselnotdienst zahlen muss.“ Einen kleinen Trost gibt es aber für die approbierte Apothekerin: „In letzter Zeit bedanken sich zunehmend mehr Kunden dafür, dass sie selbst zu ungewöhnlichen Zeiten stets freundlich behandelt werden.“

Bild 3: Wahlkampf-Tour der Landkreis-FDP zur Adler-Apotheke in Zorneding. v.l.nr: Alexander Müller (Vorsitzender des FDP-Kreisverbandes), Peter Pernsteiner (FDP-Direktkandidat im Bundestagswahkreis Ebersberg-Erding), Ulrike Sommer (Inhaberin der Adler-Apotheke), Albert Duin (Vorsitzender der FDP-Bayern).
(Foto: Wolfgang Stranak)

Korrekturbedarf auf Rezepten

Ein weiteres Problem mit den Versandapotheken ist vielen Patienten laut Ulrike Sommer ebenfalls nicht bewusst: „Nachdem die Versandapotheke ihre Kunden nicht persönlich kennt, checkt sie auch nicht gegen, ob die verordneten Medikamente auf dem Rezept verträglich sind mit anderen vom Patienten eingenommenen Mitteln. Zudem kommt es immer wieder mal vor, dass in einem Rezept Korrekturbedarf besteht – beispielsweise wenn man Tabletten als Patient halbieren oder vierteln soll, die laut Hersteller nicht zur Teilung geeignet sind.“

Noch ein Faktor wird bei der Diskussion über die billigere Versandapotheke oft vergessen – die Zeit. „Wir bekommen von unserem Großhändler werktags viermal eine Lieferung und an Samstagen zweimal.“ Wenn also etwas nicht vorrätig ist, kann es vom Kunden schon ein paar Stunden später abgeholt werden. Vorausgesetzt, dass das Arzneimittel auch tatsächlich lieferbar ist und nicht wieder einmal „eine komplette Charge vergriffen ist, weil ein Hersteller nicht rechtzeitig neu produziert hat oder weil wieder einmal die tolle Globalisierung zugeschlagen hat“, schimpft Ulrike Sommer, denn „dieses Malheur unserer Arzneimittelindustrie häuft sich in den letzten Jahren massiv.“

Empfindliche Arzneimittel werden vom Großhändler übrigens in einer Klimabox zur Apotheke geliefert. Für alle anderen Arzneimittel gilt, dass sie beim Transport zur Apotheke stets vor Frost und Überhitzung geschützt werden müssen. „Wie das bei Versandapotheken und dem Postweg sichergestellt werden kann, ist mir ein Rätsel“, resümiert Urike Sommer. Fast schon verärgert ist sie, wenn mal wieder ein Kunde in die Apotheke kommt, der hilflos darüber klagt „dass sein Versand-Arzneimittel noch nicht gekommen ist, weil das Rezept irgendwie im Postweg hängt oder gar verloren gegangen ist. Ich kann in diesem Fall nichts anderes machen, als diesen für uns potenziellen Kunden zu seinem Arzt zu schicken, um ein neues Rezept zu holen, das dann hoffentlich diesmal in unserer Apotheke eingelöst wird.“

Bild 4: Ulrike Sommer erklärt Albert Duin worauf es im Labor einer Apotheke ankommt …
(Foto: Peter Pernsteiner)

Rezepturen aus der Versandapotheke?

Rezepturen werden von den Versandapotheken generell nicht bedient. Die Adler-Apotheke muss in ihrem eigenen Labor immerhin zehn bis 15 Rezepturen pro Woche anfertigen, die von Ärzten explizit verordnet werden. Das sind spezielle Salben, Zäpfchen oder Tabletten, deren Dosierung für den Patienten stark von den üblichen Werten abweicht. So kommt es beispielsweise immer wieder mal vor, dass Kapseln für Säuglinge gefertigt werden müssen, die an seltenen Krankheiten leiden. Jede Rezeptur wird individuell in den eigenen Laborräumen zubereitet, verpackt und beschriftet. Zudem sollte man wissen, dass auch die Adler-Apotheke alle Zutaten für eine Rezeptur bereits beim Wareneingang im Labor überprüfen muss. Dabei sollte man auch immer bedenken, dass der finanzielle Aufwand für das verpflichtend zu einer Apotheken-Ausstattung gehörende Labor beträchtlich ist. „Unser Laborraum muss nur für diesen Zweck vorgehalten werden und damit auch in Form von Ladenmiete bezahlt werden“, berichtet Ulrike Sommer. Zudem erläutert sie in einem Beispiel: „Die vor kurzem fälligen beträchtlichen Kosten für die Erneuerung unseres programmierbaren Labor-Rührgerätes werden wohl erst in fünf bis acht Jahren wieder hereingekommen sein.“

Bild 5: … und betont dabei, dass der technische und zeitliche Aufwand für die individuelle Laboranfertigung von Tabletten, Zäpfchen und Salben beträchtlich ist.
(Foto: Peter Pernsteiner)

Das sind nur ein paar der alltäglichen Probleme, mit denen Apotheken auf dem Lande besonders zu kämpfen haben: „Wir haben zwar prinzipiell eine gute Struktur und auch ein gutes System, allerdings wird dieses momentan massiv klein gehackt“, beklagt sich Ulrike Sommer. So ist aktuell beispielsweise auch eine Misere, dass sich der „Apotheker an die Preisbindung halten muss, der Versandhändler im Ausland aber Rabatte geben darf.“ Dabei ist allerdings fraglich, ob Versandapotheken überhaupt sein müssen, denn laut Ulrike Sommer sind „verschreibungspflichtige Medikamene in Deutschland im weltweiten Vergleich fast am billigsten.“ Zudem scheint die Versandapotheke auch ein typisch deutsches Problem zu sein, weil es laut ABDA (Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände e.V.) in 21 Mitgliedsstaaten der EU ein Verbot für den Fernabsatz von verschreibungspflichtigen Medikamenten gibt.

Fazit für Albert Duin und Peter Pernsteiner

Albert Duin, der Vorsitzende der FDP-Bayern, hörte den Ausführungen von Ulrike Sommer sehr interessiert zu und meinte abschließend, dass für ihn „das letzte Wort bezüglich Versandhandelsapotheken noch nicht gesprochen ist. Es gibt noch viele Ungereimtheiten und diese werden auf dem Rücken der Patienten und Apotheker vor Ort ausgetragen. Mir ist die Sicherstellung einer guten Beratungsqualität, die schnelle Laboranfertigung von Rezepturen und die Aufrechterhaltung einer wirklich flächendeckenden Notdienstversorgung wichtig.“

Auch ich bin mir als FDP-Bundestagskandidat dieser Problematik voll und ganz bewusst, denn nachdem meine Frau eine angestellte Apothekerin ist, kennt sie all die oben erläuterten Probleme zur Genüge. Zudem berichtet sie mir oft auch von ganz anderen prinzipiellen Problemen im Gesundheitswesen im Zusammenhang mit Apotheken. So kommen in letzter Zeit verstärkt Kunden mit einem Privatrezept, die nicht wissen, wie viel oder wenig sie später bei Ihrer Kasse dafür rückerstattet bekommen, weil sie „nur“ noch im Basistarif versichert sind.

Diese Privatkunden sind bei Arzneimitteln inzwischen oftmals schlechter gestellt, als Kunden in einer gesetzlichen Krankenkasse. Ich fürchte also, dass unser Gesundheitswesen längst über die von vielen immer kritisierte 2-Klassen-Medizin hinaus gekommen ist und schon auf dem besten Weg dazu ist, zu einer 4-Klassen-Medizin zu verkommen. Denn nach der Einführung des Basistarif der privaten Krankenkassen im Jahr 2009 wurde bereits im Jahr 2013 zusätzlich der sogenannte Notlagen-Tarif eingeführt, in den Privat-Versicherte eingestuft werden, die mit ihren Beiträgen im Rückstand sind. In diesem Tarif werden dann nur noch Kosten für die Versorgung von Notfällen und akuten Erkrankungen erstattet – Vorsorgeuntersuchungen für Erwachsene werden diesem Personenkreis aber leider nicht mehr erstattet. Im Sinne unseres FDP-Wahlkampf-Slogans „Denken wir neu“ müssen wir auch im Gesundheitswesen die Probleme endlich anpacken, denn eine 4-Klassen-Medizin ist keine Lösung und aus meiner persönlichen Sicht ist eigentlich bereits die 2-Klassen-Medizin moralisch deplatziert!

Bild 6: Ulrike Sommer, Inhaberin der Adler-Apotheke in Zorneding, im Gespräch mit Albert Duin, Vorsitzender der FDP-Bayern. Mit einer dezenten Plakataktion weist die Adler-Apotheke auf die Nachteile der Versandhandelsapotheken hin.
(Foto: Peter Pernsteiner)